Brandbrief vom 19.09.2021 an Kultusminister Prof. Dr. Michael Piazolo

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Nachfolgend lesen Sie den offenen Brief des bsv an Kultusminister Prof. Dr. Michael Piazolo.

Obertraubling, 19. September 2021

Sehr geehrter Herr Kultusminister Prof. Dr. Michael Piazolo,

die erste Schulwoche liegt hinter uns. Für die vielen Schülerinnen und Schüler und deren Familien hätte es sich fast wie ein normales Schuljahr anfühlen können. Wir starten erneut in ein von der Corona-Pandemie belastetes Schuljahr. Die letzten beiden Schuljahre waren für Schulleitungen vor Ort geprägt von in Rekordgeschwindigkeit zu erstellenden Stundenplänen, Hygienekonzepten, Raumkonzepten, Unterrichtskonzepten, Schaffung neuer Organisationsstrukturen, Digitalisierung der Schulen, Organisation von Fort- und Weiterbildung des Kollegiums, Durchsetzung der Maskenpflicht, Einführung der Selbsttests in Klassenzimmern, Kontrolle von Quarantäne- oder Einreiseverordnungen, Integration und Einarbeitung von Teamlehrkräften, Schulassistenten, Drittkräften, Zweitqualifikanten, Verhandlung mit Sachaufwandsträgern, Eltern, Schülern, Horten, Mittagsbetreuungen, externen Partnern, Caterer und Personalmangel.

Die Bewältigung all dieser hinzugekommenen Aufgaben brachten Schulleitungen weit über ihre Belastungsgrenzen. Das Pensum war nur durch unzählige unbezahlte Überstunden, Durcharbeiten an Wochenenden und in den Ferien (Sommerschule usw.) zu schaffen.

Die Hoffnung der Schulleitungen, dass sie nach den Sommerferien, mit ihren Schulen in normaleren Bahnen starten können, löste sich bereits in der KW 36 auf.

In dieser kurzen Zeit wurden die Schulleitungen der bayerischen Grund-, Mittel- und Förderschulen wieder einmal mehr eines Besseren belehrt. Bereits in der letzten Ferienwoche wurde klar, es geht genau so weiter, wie es aufgehört hat! Ein Kultusministerielles Schreiben, Infektionsschutzmaßnahmenverordnung, eine Dienstanweisung jagt die andere, das OWA Postfach quillt über mit seitenlangen Schreiben, die alle gelesen und vor allem erneut in Rekordgeschwindigkeit umgesetzt werden müssen.

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Piazolo, nach 1,5 Jahren Pandemie gibt es von Seiten Ihres Ministeriums noch immer keine klare Planungssicherheit, keine Zuverlässigkeit, keine stringente Kommunikation mit Ihren Schulleitern. Ein Schnellschuss jagt den anderen. Ihr Förderkonzept „gemeinsam.Brücken.bauen“ scheiterte bereits Ende des Schuljahres 2020/21 an der unsäglichen Bürokratie bei der Beantragung und der Durchführung. Der Aufwand für die Schulleitungen dafür stand und steht in keinem Verhältnis zum Ertrag. An die Umsetzung von Phase 3 ist jetzt noch kaum zu denken und schon kommt der nächste Schnellschuss aus Ihrem Haus.

Die Einführung der Pooltests an den Grundschulen mit diesem Zeitdruck ohne soliden verifizierten Verwaltungsvorlauf ist unrealistisch.

Entgegen Ihren pressewirksamen Ankündigungen ist der Verwaltungsaufwand in den Schulen immens. Die Schulleitungen müssen sich in einer vollkommen unrealistischen und unnötigen Terminsetzung in einen medizinischen Bereich einarbeiten, sich neue Begriffe wie  Einzel-, Abstrichtupfer, Rückstellproben, Zentrifugenröhrchen, Barcodes und Sammelröhrchen, Nukleinsäureamplifikationstechnik zu eigen machen und diese Informationen innerhalb von ein, zwei Tagen Eltern und Lehrkräften näher bringen! Schulleitungen müssen erneut lernen sich mit seriellen Testungen und digitalen Schnittstellen und Barcodes zu befassen, damit Pooltestungen umgehend umgesetzt werden können. Zudem stehen auch diesem Testverfahren mehrere Eltern aus unterschiedlichsten Gründen skeptisch gegenüber. Der Sinn der Eile der Pooltests ist unwirklich und überdies nicht erkennbar. In den Schulen sind genügend Selbsttests für viele Wochen eingelagert. Was für eine Verschwendung der Ressourcen!

„Uns bleibt im wahrsten Sinne des Wortes die Spucke weg, Herr Minister!“

Am Montag, 13.09.2021, nachdem Schulleitungen gerade einen unglaublich arbeitsreichen Tag mit Anfangskonferenzen hinter sich haben und noch mit den Vorbereitungen zum ersten Schultag unter Coronabedingungen beschäftigt sind, erhalten sie um 20:00 Uhr diesbezüglich die letzte Mail im OWA. Innerhalb von vier Tagen sollen alle Pooltests so vorbereitet sein, dass am Freitag die Abfrage dazu erledigt werden kann und am Montag, 20.09.2021 gestartet werden kann.

Die digitale Verarbeitung in der Kürze der Zeit zu erlernen und korrekt durchzuführen unter den vorhandenen Bedingungen ist aussichtslos!

Nachträglich von Ihnen verschickte Entschuldigungen können die bereits getätigte Arbeitszeit nicht mehr ersetzen.

Schulleitungen werden wieder einmal komplett im Stich gelassen, zudem organisatorisch und technisch praktisch erneut nichts funktioniert.

Schulleitungen warten auf die Kontaktaufnahme der Labore, die bereits vor einer Woche angekündigt war.

Login-Links für die dafür entwickelte Schnittstelle sind fehlerhaft, die Schnittstellenproblematik der Programme ist nicht beseitigt.

Dazu kommen zeitintensive Videoschulungen und aufwendige weitere Anweisungen. Nebenher müssen Eltern und SchülerInnen beraten, überzeugt werden, um die Einverständniserklärungen rechtzeitig einholen zu können und zu hoffen, dass alle eine Mailadresse besitzen. In der ASV müssen außerdem in der Kürze der Zeit alle Mailadressen aller Erziehungsberechtigten einzeln eingepflegt werden.

Schulleitungen müssen ad hoc Konferenzen für das Kollegium organisieren, um die gesamte Lehrerschaft (einschließlich Mob. Reserven, FachlehrerInnen) auf die Durchführung und Verpackungsmodalitäten der Pooltests vorzubereiten.

Man benötigt Zeit, um die benötigte Logistik in der Schule zu etablieren, so dass die Umsetzung mit den Schüler/innen vor Ort funktioniert. Einem Erstklässler, der erst vier Tage in der Schule ist und während dieser Zeit Antigentests in der Schule machen musste, erlernt nun statt Lesen und Schreiben die Pooltest-Modalitäten.

Sehr geehrter Herr Minister, der Pooltest-Start zum 20.09.2021 war einfach nie möglich und ist absolut nicht zu realisieren!

Warum wird das Testverfahren eigentlich überhaupt umgestellt? Mit den Selbsttests erhielten Klassenlehrkräfte und Schulleitungen nach 15 Minuten, ob SchülerInnen positiv waren. Man konnte separieren. Mit der Einführung des Pooltests erhalten die Eltern und die Schule am Nachmittag die Rückmeldung der erkrankten SchülerInnen. Das positive Kind war somit den ganzen Tag in der Schule und konnte anstecken. Der Pool der Einzeltests zeigt auf, welches Kind positiv war. Welche Ansteckungsgefahr ging von diesem Kind während des Vormittags und womöglich noch in Nachmittagsbetreuungen aus? Müsste man nicht am Folgetag erneut einen Pooltest machen, statt erst zwei Tage später?

Macht der Einzeltest in diesem Stadium überhaupt Sinn? Der Klassenpooltest würde zu diesem Stadium ausreichen!

Aber es reicht Ihrerseits auch nicht in der ersten Schulwoche Schulleitungen mit dieser nahezu unlösbaren Mammutaufgabe zu konfrontieren!

„Erneut bleibt uns die Spucke weg, Herr Minister!“

Inmitten der Schulanfangsbriefe Ihrerseits, der KMS zu den Pooltests und anderer wichtiger/unwichtiger Schreiben im OWA taucht unter der Überschrift „Alltagskompetenzen – Schule fürs Leben“ die nächste Mammutaufgabe in Zeiten der Pandemie auf.

Auf 43 Seiten inklusive Anlagen erhalten Schulen die zusätzliche Dienstaufgabe eine verbindliche Anweisung eine Projektwoche unter dem Motto Alltagskompetenzen zu organisieren. SchülerInnen soll damit erneut ein neuer Lernraum eröffnet werden.

Herr Minister, ist nicht gerade der Moment, den Lernraum Klassenzimmer wieder zur Normalität zu machen? Die vielen Lücken und Lernrückstände der SchülerInnen bestmöglich aufzuarbeiten und Konzepte dafür zu erstellen?

Meinen Sie wirklich, jetzt ist der richtige Zeitpunkt noch etwas Neues in den Schulen zu installieren? Sollen Schulen tatsächlich dafür nun Zeit und personelle Ressourcen aufbrauchen, wo es an allen Ecken und Enden brennt?

Schulleitungen in Bayern stehen bereits zwei Wochen nach Schulbeginn so da, wie im Juli. Es brennt immer noch an allen Stellen. Hat das Kultusministerium in den eineinhalb Jahren Pandemie nichts dazu gelernt? Wir erwarten das Vorleben von der Professionalität, die Sie von uns täglich einfordern!

Wie werden die Überstunden für die Verwaltung, die unterstützenden Lehrkräfte, die Konrektoren und die Schulleitungen abgerechnet? Die Einarbeitung der Mailadressen, das Setzen der Merker in der ASV dauerte bei einer durchschnittlichen Schule mit 15 Klassen bei vier Personen ca. 5 Stunden.

Diese Belastung neben des aufwendigen Schulstarts, geprägt vom Erstellen der diffizilen Stundenpläne, der Vorstellungsbesuche der neuen Lehrkräfte, die Organisation der Elternabende, der Konferenzen, der Gespräche mit externen Partnern, der Suche nach Teamlehrkräften, etc., etc… bedarf eines Ausgleichs.

Darüber hinaus fehlt an den Schulen auch noch das qualifizierte Personal. Schulleitungen müssen Teamlehrkräfte suchen, fehlende LehrerInnen kompensieren und nicht qualifiziertes Personal in Klassenführungen einsetzen.

Schulleitungen sollen Lehrkräfte unterstützen, Lerndefizite bei Schüler/innen erkennen und aufarbeiten. Wie soll dies unter diesen Bedingungen gelingen?

Der Bayerische Schulleitungsverband fordert Sie auf, der Schulrealität endlich ins Auge zu blicken und die Realität ins Auge zu fassen und danach zu handeln.

Drosseln Sie endlich das Tempo Ihrer zu kurzfristigen fulminösen Anweisungen!

Wir erwarten nach eineinhalb Jahren, dass die Staatsregierung, das Gesundheitsministerium, das Kultusministerium und die Sachaufwandsträger Schulen endlich unterstützen. Kommen Sie Ihrer Fürsorgepflicht für die Schulfamilien endlich nach!

Schaffen Sie als Dienstherr endlich Rahmenbedingungen, die Schule sicher und möglich machen! Fragen Sie nicht ab, wo Lüftungsanlagen stehen, bauen Sie diese endlich ein.

Die Staatsregierung hatte genügend Zeit, um Unterricht unter bestem Gesundheitsschutz zu ermöglichen.

Bieten Sie Ihren Schulleitungen vor Ort endlich die dringend benötigte Planungssicherheit und Zuverlässigkeit!

Nehmen Sie endlich die Akteure vor Ort ernst und treffen Ihre Entscheidungen nicht fernab der Schulpraxis und -realität!

Wir fordern von Ihnen, von Ihrem Ministerium realistische Abfragen, Vermeidung von unnötigen Vorgaben und Zeitdruck und ellenlange KMS, deren Umsetzung unrealistisch und praxisfremd ist, damit wir in der Schule während Corona, auch nach Corona endlich unserem pädagogischen Auftrag nachkommen können und Lehrkräfte, SchülerInnen und Erziehungsberechtigte mit ihren ganz besonderen Bedürfnissen unterstützen, unterrichten, bilden und erziehen können.

Erneut sichern wir Ihnen an dieser Stelle zu, dass es für Schulleitungen eine Selbstverständlichkeit ist, sich den Herausforderungen der Pandemie zu stellen und sie verlässlich zu meistern.

Das haben wir in den letzten 1,5 Jahren täglich bewiesen.

Aber jetzt sind Sie dran! Handeln Sie schnell! Nehmen Sie Druck raus, schmälern Sie den Organisationswahnsinn und lassen Sie uns Schulleitungen UNSERE Arbeit machen. Lassen Sie uns die dringend benötigte Zeit und Handlungsspielraum für unsere Schulen.

Davon profitieren Schülerinnen und Schüler, nicht von blindem Aktionismus!

Mit freundlichen Grüßen

Cäcilia Mischko, Landesvorsitzende

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